Alle aufsteigen, bitte! – mit Lena Cassel
Shownotes
Ob Fußballspiel, Konzert oder Festival – alles beginnt mit der Anreise. Sobald wir aus dem Haus sind, ist das Event im Gange. Wir treffen Freundinnen und Freunde, quatschen, feiern und teilen Vorfreude. Wie wichtig guter Nahverkehr für einen reibungslosen Kulturbetrieb ist, weiß auch Lena Cassel. Die Sportjournalistin, Moderatorin und Ex-Fußballerin hat schon viele unvergessliche Bahn-Momente vor und nach dem Spiel gehabt. Trotzdem hat sie noch ein paar Tipps, wie Fußball und ÖPNV noch mehr Hand in Hand gehen können. Wie man es schafft, eine ganze Kulturhauptstadt auch verkehrstechnisch an den Start zu bringen, verrät uns Stefan Schmidtke, Geschäftsführer der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 GmbH.
Lena Cassels Buch „Aufstiegskampf“ ist bei Klett-Cotta erschienen: https://www.klett-cotta.de/produkt/lena-cassel-aufstiegskampf-9783608502688-t-8969
Alle Infos zu Chemnitz 2025: Kulturhauptstadt Europas findet Ihr hier: https://chemnitz2025.de/
Weitere Infos über die Initiative ZUKUNFT NAHVERKEHR gibt es hier:
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00:00:00: Intro
00:00:00: Maxi Ich sitze so häufig in der Bahn und stelle mir vor, wie ich sie neu einrichte, sie quasi maximal umgestalte. Ich hänge dann Gardien in Salbeigrün auf, ziehe die Polster in einem schönen Eierschalenton und dann platziere ich … Okay, ja, ich merke es selbst. Das hier ist nicht mein Wohnzimmer, sondern ein Waggon. Ja. Hot Take. Öffis sind für mich einfach diese eine große Stretch-Limousine, die wir uns alle gönnen und teilen. Und in dieser öffentlichen In der Limousine kommen wir uns auch ganz schön nahe. Ihr und ich, Bein an Bein oder Schulter an Schulter, an den Halteschlaufen, im Stehen, die Station zählen. Wir sitzen hier also alle in einem, na ja, nicht Boot, aber eben in einer Bahn oder einem Bus. Sorry, ich stelle mich erst einmal vor. Mein Name ist Maximian Mund. Ihr kennt mich vielleicht vom Sehen und jetzt eben auch vom Hören, denn das hier ist eben ein Podcast, und zwar über den öffentlichen den Personen Naheher. Ich verabrede mich mit Menschen, die den ÖPNV privat nutzen, professionell gestalten, ihr Geld damit verdienen oder eine Meinung dazu haben. Was lieben wir an unseren Öffis? Was frustriert uns? Welche epic Erlebnisse hatten wir daran? Das hier ist also alles andere als eine Bahnalität.
00:01:19: Maxi Wegen Banal… Ihr wisst schon. Das hier ist Ticket to Anywhere. Let’s talk Nahverkehr. Wohin mein Ticket geht, fragt ihr. Ich fahr zu meiner Oma. Agenda: Der Klassiker. Das Internet auf ihrem Smartphone geht nicht mehr. Also bringe ich es zum Laufen. Meine Oma und ich funktionieren super zusammen. Wir waren schon immer ein gutes Team und seit sie ein Handy hat, bin ich in der Favoriten Liste auf der Eins. Natürlich, Enkel Goal. Und klar, wenn sie nur Bahnhof versteht, klingelt bei mir das Telefon. Apropos Bahnhof: Fahren wir los? Schon, oder?
00:02:00: Lena Welcome to the ticket to anywhere show.
00:02:13: Bis dass das Tor uns scheidet
00:02:17: Maxi Ja, ich stehe hier nicht alleine im S-Bahnhof. Neben mir hat sich eine Truppe von Fußball-Fans versammelt. Alle tragen Trikots, alle trinken Bier und alle steigen jetzt gleich in diese S-Bahn ein und ihr Verein hoffentlich auf. Mir macht das immer etwas Unbehagen, weil es häufig eine ganz bestimmte Dynamik auslöst, wenn die Bahn voll und der Pegel hoch ist. Dabei ist das ja eigentlich etwas total Schönes, wenn sich so viele Menschen aus dem gleichen Grund auf den Weg in die gleiche Richtung machen. So, Bahn ist da und ich würde sagen, wir steigen ein. Surprise: Fußball ist nicht mein Leben und ich kicke es auch nicht like Beckham, aber ich bin Fan von Fankultur. Ich liebe dieses Gemeinschaftsgefühl, gemeinsam zum Konzert, gemeinsam zum Festival. Das ist dann so dermaßen emotional, dass mir häufig die Tränen kommen, wenn ich so was mit meinen Leuten erlebe und ich mir dann so denke, tausende von Menschen teilen sich gerade ein und dasselbe Gefühl. Solche Großveranstaltungen zeigen einem dann auch noch mal mehr, wie sehr Menschen einander brauchen und wie sehr Menschen miteinander etwas teilen wollen. Heute dann wohl den möglichen Vereinssieg. Ich bin auf jeden Fall froh, dass man mit Bus und Bahn zu solchen Happenings düsen kann.
00:03:39: Maxi Ohne Stau, Parkplatz-Action oder dem Streichholz ziehen, wer nun fährt und nichts trinken darf. Aber es ist doch schon strange, dass die Öffis bei diesen Großveranstaltungen komplett selbstverständlich benutzt werden und im Alltag aber eher weniger. Klar, bei diesen Fahrten ist die Anreise schon Teil des Events. Roadtrip auf Schien. Man trifft auf Gleichgesinnte. Und sicher sind dadurch auch schon viele Freundschaften entstanden. Ey, ich muss lachen bei der Vorstellung, dass Leute genauso euphorisch mit den Öffis ins Büro cruisen. Also natürlich auch in matching Outfits. Stellt euch vor, Büro-Trikots. Warum nicht? So, ich steig mal jetzt hier kurz in den Bus bis gleich, ja? Zeit, dass ich was dreh, oh, was dreh, oh, was dreh, oh, Zeit, dass ich was dreh, oh, was dreh, oh, was dreh, was dreh, was dreh, was dreh. immer wenn ich an Fußball denke, ist sofort dieser Song in meinem Kopf. Ich habe euch ja schon mal erzählt, dass meine Oma ein Grönemeyer-Ultra ist, oder? Sie hatte auch tatsächlich mal einen Freund, der Herbert hieß. Maxi, für mich ist die Sache simpel. Entweder finde ich einen Mann aufregend oder er regt mich auf. Letzteres Verhalten hat keine Chance bei mir. Seit ich vorhin mit den Fußballfans in der Bahn saß, muss ich daran denken, wie ich mit meiner Oma mal im Stadion des FC Sankt Pauli in Hamburg war und wir dort ein großes Los gezogen haben.
00:05:12: Maxi Das war übrigens mein einziger Besuch eines Fußballspiels. Und tatsächlich war es meine Oma, die mich dazu überhaupt erst überredet hat. Und obwohl ich in Hamburg lebe, mussten wir aber aus Bielefeld anreißen. Egal, von vorne. Also: Die beste Freundin meiner Oma, Matilda, wohnte damals in Bielefeld. Hannelore wollte sie besuchen und da am gleichen Wochenende ein Konzert war, auf das ich gehen wollte, begleitete ich sie. Am Sonntag gönnten wir drei uns ordentlich Brunch im Hotel. Wir mampften da also so meditativ vor uns hin, und plötzlich das Telefon von Hannelore Freundin klingelte. Wir hörten Matilde nur: Ah ja? so, so. Und Aha, sagen und hatten keinen blassen Schimmer, worum es ging. Dann legte sie auf, schaute uns an und sagte: Leute, Wir fahren heute noch ins Fußballstadion." Turns out: Am Telefon war ihr Sohn, der Kindergärtner war. Und wo war er Kindergärtner? In der Kita, in der die Tochter eines Pauli-Spielers ging. Und dieser Fußballer hat ihm natürlich vier Karten für das Sonntagsspiel geschenkt. Mega. Meine Oma schrie sofort vor Begeisterung: Ja! Seit wann bist du denn Fußballfan?, fragte ich sie. maxi, seit jetzt! Das wird toll. Stadionwurst, ein Bier im Plastikbecher. Als wären wir schon immer Fans gewesen.
00:06:34: Maxi Und dann ging alles ganz fix. Wir packen unsere Sachen und fuhren zum Bahnhof. Als wir die Treppe zum Gleis hochgingen, hörten wir bereits die Auswärtsfans und ihre Chöre. Meine Oma kam natürlich direkt mit einem jungen Paar ins Gespräch: Hannes und Louisa. Zusammen mit diesem Paar waren wir jetzt ein Quintett und fuhren mit dem Zug gemeinsam nach Hamburg. Als wir am Hauptbahnhof ankamen, stiegen wir in die U-Bahn zur Feldstraße. Wir waren die einzigen ohne Trikots und das Schöne war: Das war egal. Die Stimmung war friedlich und voller Vorfreude auf das Match. Aber dann passiert etwas völlig Wildes. Als wir an der Felsstraße ausstiegen, holte Hannes plötzlich hektisch ein batteriebetriebenes Glitzer er das Mikrofon aus einem Rucksack und rief durch den ganzen U-Bahn-Schacht: Hinsetzen, hinsetzen. Ich konnte nicht fassen, was hier passierte. Um uns herum, zig Menschen, die sich wirklich setzten. halt, du bleibst stehen, Luisa, rief er seiner Freundin zu: Leute, ich brauche nur kurz eure Aufmerksamkeit. Vor ein paar Jahren habe ich die Frau, die jetzt noch steht, auf der Gegengegade kennengelernt. Luisa, wenn alles gut läuft, haben wir noch circa 50 Jahre zusammen. Wenn wir uns Mühe geben und das schaffen, passen in 50 Jahre eine Menge Halbzeiten.
00:07:53: Maxi Wollen wir heiraten und gucken, wie lange das gut geht? Ja, war ihre Antwort. Zwei der Fans schnappten sich das Paar, hoben sie jeweils auf ihre Schultern und so zogen wir Richtung Millerntor. In der Halbzeit haben uns Hannes und Louisa dann noch zu ihrer Hochzeit eingeladen, auf die wir drei tatsächlich ein Jahr später gingen. Und offensichtlich war sich auch Hannes für keinen flachen Witz zu schade und sagte vor dem Altar: Bis dass das Tor uns scheidet. Ach Leute, an diesem speziellen Tag war Fußball dann doch kurz mein Leben. Maxi, wenn du noch an einem Kiosk vorbeikommst, bringst du mir dann noch eine Rätselspaß mit? Dein Wunsch ist mir Befehl, Oma. Moin. Zeitschriften habt ihr auch, oder? Zeitschriften? Ja klar. Der hinten links bei der Eistruhe. Mein Blick wandert bei den Zeitschriften von der Zucchinidiät vorbei an flotten Ideen für Vorgärten und landet beim Sport. Auf jedem Magazin, auf allen Covern immer noch nur Typen. Ich greife mir eine der Zeitschriften und blätter sie durch. Halt? Wahnsinn. Eine Frau. Blonde Haare, zum tiefen Dutt geknotet, Oversize Doppelreiher, breites Grinsen. Hat ein bisschen was von Cameron Diaz, heißt aber Lena Cassel. Warte, die kenne ich sogar. Die habe ich in einem Podcast schon mal gehört und außerdem hat sie den besten Insta-Namen Casselberger.
00:09:35: Maxi Also die ist jedenfalls kompletter Pro am Ball. Ey, die wird ja wahrscheinlich schon so oft mit den Öffis ins Stadion gefahren sein, dass es für eine Erdumrundung reicht. Willst du die kaufen? Was? Ach so, ja, das Magazin hier. Eine Rätelspaß und das Wasser hier. Das macht dann 8,40 Euro, bitte. Ja, hier. Frohes Schaffen noch. Jo, danke dir. Schönen Tag noch. Wisst ihr was? Ich frage Lena einfach mal persönlich, welche Erfahrungen sie auf dem Weg ins Stadion gemacht hat. Hallo Lena.
00:10:10: Lena Cassel Teil 1
00:10:11: Lena Hallo Maxi. Ich darf Maxi sagen, hab ich geklärt.
00:10:14: Maxi Ja bitte, bitte. Stell dich doch einmal kurz vor. Mit wem spreche ich hier?
00:10:18: Lena Du sprichst mit Lena Cassel. Ich bin eigentlich gebürtig aus Köln, lebe aber seit 2019 in Berlin. Ich bin Sportjournalistin in insofern, dass ich einen eigenen Podcast habe über Fußball, der täglich erscheint. Und ich moderiere diverse Fußball-Sendungen, also Bundesliga und Champions League. Und das jetzt schon seit ein paar Jahren. Und ich habe jüngst aber auch ein Buch geschrieben, was so gar nicht auf meiner Bingo-Karte war, was dann aber irgendwie kam. Und es ist jetzt sehr unsympathisch, was ich sage, weil ich erst 30 bin, aber es ist eine Biografie.
00:10:55: Maxi Oh, wow. Na gut, aber du bist ja wahrscheinlich eine der wenigen Frauen, die in dem Milieu auch arbeiten, noch, oder? Es werden wahrscheinlich mehr.
00:11:04: Lena Es werden stetig mehr, aber du hast schon recht. Also ich glaube, Sabine Töpperwien, das ist auch eine Sport-Moderatorin gewesen, nicht mehr aktiv jetzt, aber sie hat mal vor Jahren gesagt: Wenn man jede Frau im Sport noch namentlich nennen kann, dann wissen wir, dass wir noch ein Problem haben. Und ich würde sagen, man kann noch jede Frau namentlich nennen, die im Sport arbeitet, besonders vor der Kamera.
00:11:26: Maxi Ich kenne mich leider im Sport überhaupt nicht aus.
00:11:28: Lena Das ist gar nicht schlimm.
00:11:29: Maxi Auf keiner Seite. Aber du bist also Fußballfreak?
00:11:32: Lena Ja, schon. Also ich habe lange auch selber gespielt, bis 2020. Dann habe ich aufgehört, weil ich wahnsinnige Angst hatte, mich zu verletzen. Ist so eine komische irrationale Angst, die irgendwann dann gekommen ist. Weil ich dann dachte: Wow, wenn ich mich jetzt verletze und Verletzungsrisiko bei Frauen im Fußball relativ hoch, dann kann ich meine- Kreuzbandriss. Genau, sehr viele gängige- Der Klassiker. Also wirklich, wenn du mich jetzt fragen würdest, ich habe zum Glück keinen Kreuzbandriss bisher gehabt, aber ich würde sagen, 90% der Spielerinnen, die mal gespielt haben oder noch aktiv spielen, hatten schon Kreuzbandriss. Also das ist so die Quote. Und natürlich, wenn man so viel reist, wie ich gerade mit der Bahn, weil ich habe keinen Führerschein, also ich fahr wirklich sehr, sehr viel Bahn, wäre es dann sehr unhandlich, sage ich mal, wenn ich dann jetzt mit Krücken zu irgendeinem Job fahren müsste. Und da habe ich mich irgendwann dann dagegen entschieden und habe gesagt: Nein, Fußballkarriere, wenn wir mal ehrlich sind, bis zur Bundesliga hätte es nicht gereicht. Das war in der dritten Liga. Und da musste ich mich entscheiden und dann habe ich mich für Geld verdienen entschieden.
00:12:27: Maxi Sehr gut, ja. Du, das heißt, du kommst aus Köln? Ja. Da hast du im Verein gespielt?
00:12:32: Lena Bei SC Fortuna Köln.
00:12:33: Maxi Köln ist ja relativ überschaulich. Benutzt man da trotzdem die Öffis oder läuft man zu Fuß?
00:12:39: Lena Man könnte wirklich alles zu Fuß laufen, meiner Meinung nach, oder mit dem Fahrrad. Sehr viele Leute sind dort Fahrrad gefahren Und dann bin ich aber irgendwann aus Köln weggezogen mit fünf. Und dann ging es aufs Land, Bergisches Land. Und da sage ich euch, ganz ehrlich, da ist man noch mehr auf irgendwie Bahn angewiesen, weil die Strecken wirklich noch weiter sind und Wir hatten damals kein Auto und dementsprechend viel Bahn gefahren, auch da. Und da fuhren die nicht so regelmäßig.
00:13:07: Maxi Aber es gab eine zumindest.
00:13:09: Lena Es gab eine. Muss man schon wirklich sagen, das ist sehr selten da auf dem Dorf. Und ich habe glücklicherweise in einem Dorf namens Schladern gelebt und da gab es eine Bahnverbindung, den RE9, und der ist nach Köln innerhalb von 40 Minuten gefahren. Das heißt, man war schon irgendwie stadtnah angebunden. Großstadtkind. Man hat dann auch immer gesagt: Ich komme aus der Nähe von Köln. Ja. Das hat man nach wie vor gesagt. Natürlich.
00:13:32: Maxi Und wie kam es dann zum Fußball? War das auch auf dem Dorf, oder?
00:13:36: Lena Das war auch auf dem Dorf. Also auf dem Dorf gibt es ja nur wenige Möglichkeiten. Ich glaube, das Dorf hatte 1200 Einwohner Und man kann sich sicher sein, bei einem 1200 Einwohner Dorf gibt es drei Sachen: Es gibt einen Tennisplatz, es gibt einen Fußballplatz.
00:13:52: Maxi Und einen Schützenverein.
00:13:53: Lena Schützenverein? Okay, es gibt vier Sachen und eine Schleckerfiliale. Die gab es damals noch. Ach, sehr gut. Schlecker. Gibt es jetzt nicht mehr, gab es damals. Und dementsprechend waren meine Möglichkeiten, was ich so zu machen habe, begrenzt. Und zum Tennisverein sind die Leute gegangen, die Geld hatten. Und zum Fußballverein sind die Leute gegangen, die keines hatten. Also es war zweimal Rotasche und dann gab es einmal Rotasche für reich und einmal Rotasche für arm. Und ich war eher beim Letzteren zu finden. Und da bin ich am Anfang hingegangen, weil da immer wahnsinnig viel los war. Also ich war jetzt nicht so: Ich will unbedingt Fußball spielen. Das hatte ich gar nicht. Und meine Familie ist auch gar nicht fußballaffin. Also es gibt da einen Onkel, der diehard FC-Fan ist, aber das war es auch. Aber das erzählt man sich auch einfach so, dass er das ist. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob er das so wirklich ist, aber vielleicht war er mal beim Spiel. Aber es ist jetzt nicht so: Mein Papa oder meine Mama haben mich irgendwo hin mitgenommen ins Stadion und dann war es dieser eine Moment, wo ich mich in den Fußball verliebt habe.
00:14:45: Lena Nein, so romantisch war es nicht. Also es war eigentlich aus einem Pragmatismus heraus geboren. Auch keine Geschwister, die Fußball gespielt haben? Gar nicht. Nein, null. Und dann bin ich aber irgendwann da auf diesen Platz gelandet und fand es toll, dass da immer so viele Leute waren und die mich angeguckt haben, weil ich bin ja natürlich auch aufgefallen, weil ich war in einer wenigen Mädchen. Und irgendwann, nachdem ich mich wirklich nur damit beschäftigt habe, irgendwelche kleinen Bildchen in die Asche zu malen und mich mit Leuten am Spielfeldrand zu unterhalten … Also ich habe wirklich alles gemacht, außer Fußball spielen –, habe ich aber irgendwann gemerkt, dass ich doch nicht so schlecht bin. Es gab da so ein Tor, was ich geschossen habe, was sehr, sehr prägnant für mich war, weil keiner damit gerechnet hat, dass ich ein Tor schieße. Das war wirklich sehr unrealistisch. Und dann habe ich aber mal ein Tor geschossen, wo wirklich auch sehr viele Leute da waren. Und dann war auch mein Opa da, Opa Herbert, und der hat mir für das Tor 50 Euro damals gegeben. Und das hat sich sehr in meinen Kopf eingebrannt, wo ich gecheckt habe: Wow, okay, hier kann ich Geld verdienen, hier kann ich einen Unterschied ausmachen.
00:15:43: Lena Die Leute haben mir zu gejubelt, hat sich wahnsinnig gut angefühlt und dann bin ich einfach dabei geblieben.
00:15:47: Maxi Und es war aber eine Jungsmannschaft?
00:15:49: Lena Ja, war eine Jungsmannschaft. Das war F-Jugend, waren halt Kinder. Es gab noch ein weiteres Mädchen, Sophia. Die Arme musste immer ins Tor, weil keiner andere ins Tor wollte Alle wollten Stürmer sein. Alle wollten Torre schießen. Und ich hatte irgendwie das Glück, dann in der Verlosung doch weiter vorne zu landen, wo es sollte sich später ändern. Da war ich nämlich irgendwann auch Rechtsverteidigerin, obwohl ich noch nie verteidigt habe, aber die Stelle war halt offen bei den Jungs. Und da musste dann halt das Mädchen spielen.
00:16:15: Maxi Ich habe auch immer Verteidigungen gemacht, wenn ich mitspielen musste.
00:16:18: Lena Ach, du musst es? Du hast das natürlich nicht freiwillig gemacht.
00:16:21: Maxi Nein. Ich meine, das war ja auch die Zeit von den wilden Kerlen.
00:16:24: Lena Toll. Hast du es auch gelesen oder geguckt?
00:16:26: Maxi Nein, geguckt und gehört.
00:16:28: Lena Ich habe auch alle Bücher gehabt Ja. Alle. Boah, wahnsinnig cool.
00:16:32: Maxi Und hast du dich damit identifiziert? Wie hieß die Larissa?
00:16:34: Lena Vanessa. Vanessa, scheiße. Vanessa. Ich war auch ein bisschen in die Schauspielerin verliebt direkt. Habe natürlich gehofft, dass sie auch auf Mädchen steht. Voll viel gegoogelt und dann habe ich irgendwann gesehen, dass sie schwanger war.
00:16:47: Maxi Aber dann hast du ja sehr lange das noch gegoogelt.
00:16:50: Lena Ja, natürlich.
00:16:51: Maxi Also bis in deine 20er.
00:16:52: Lena Ja, könnte sein. Ich fand die schon cool auch.
00:16:58: Maxi Und wann ging es das erste Mal ins Das ist eine sehr gute Frage.
00:17:02: Lena Ich kann mich eigentlich nicht an meinen allerersten Stadionbesuch erinnern. Der muss sehr spät gewesen sein. Also ich glaube, da war ich sogar schon volljährig. Aber dann, wenn du mich fragst, ich glaube, das erste Mal ins Stadion war natürlich das Müngersdorfer Stadion, also in Köln, jetzt rein ein Energiestadion, und war sicherlich irgendein FC-Spiel mit Lukas Podolski, Adil Chihi, Milo Wojenowakowitsch. Diese Namen kenne ich noch. Verstehe ich.
00:17:27: Maxi Fußball hat ja dieses Phänomen Versehen oder auch Konzerte, Musik, dass es so Leute zusammenbringt, die vielleicht im Alltag gar nicht so viel miteinander zu tun haben, aber plötzlich dann gemeinsam für einen Verein, für eine Mannschaft, für einen Spieler oder eine Spielerin irgendwie anfeuern. Und oft ist ja auch Alkohol im Spiel. Stimmt. Wie bei Konzerten oder Großveranstaltungen. Und irgendwie muss man ja auch dahin kommen ins Stadion, wo ja der öffentliche Naheferkerer dann oft eine große Rolle spielt. Du fährst wahrscheinlich nicht zur Arbeit mit dem ÖPNV, oder? Doch, oft.
00:17:57: Lena Ja? Ja, auch.
00:17:58: Maxi Und wie ist das so, mit feierwütigen Fans einzusteigen? Es ist wahrscheinlich auch ein Unterschied hinzufahren und wieder zurückzufahren, je nachdem, ob gewonnen wurde oder nicht.
00:18:06: Lena Ja, total. Also es ist natürlich gerade als Frau ein Ort, der einem Spießrutenlauf gleicht. Das ist so: Du bist unfassbar aufmerksam, was dich betrifft, so, weil das eine bedrohliche Situation ist. Gerade die Kombination aus sehr, sehr viel Alkohol und sehr, sehr vielen Männern in in einem begrenzten Raum. Das ist einfach ein bedrohliches Szenario für jede Frau. Und ich bin ja auch immer der Auffassung, dass die Bahn auch immer so ein bisschen fahrender Zeitgeist ist. Und wir erleben natürlich gerade aktuell auch, dass sehr vieles rückläufig ist. Und da rede ich über Frauen, da rede ich aber auch über queere Personen, gerade in diesem Bereich Fußball, dass ich eher das Gefühl habe, da waren wir auch schon mal sicherer unterwegs und da waren wir auch schon mal ein bisschen weiter. Und ich weiß, dass es gerade Männer auch gibt, die anders sind und die auch ihre Verantwortung darin sehen, vielleicht Menschen mehr zu schützen, die bedroht sind, weil Minderheit, weil in irgendeiner Form diskriminiert, gerade in diesem sehr männlichen Umfeld. Diese Männer gibt es. Die müssen jetzt nur, glaube ich, ein bisschen lauter werden, weil ich glaube, das Szenario mittlerweile bedrohlicher und lauter von der anderen Seite geworden ist.
00:19:23: Lena Und dementsprechend gab es auch ganz, ganz viele beängstigende Situationen, die auch auf Social Media festgehalten worden sind von Frauen, die durch Zufall in so einen Zug geraten sind, voller Fußballfans. Und was sie sich da an Misogynie, sexistischen Kommentaren, Belästigung, also was sie da aushalten mussten, ist schon sehr besorgungserregend. Und auf der anderen Seite möchte ich da durchaus auch differenzieren, dass ich trotzdem sage, dass dieses Narrativ, was gerade auch sehr, sehr viele Fußballfunktionäre immer wieder befeuern, das sind diese asozialen Fußball Fans, die sind alle gewaltbereit, die sind alle rassistisch, die sind alle in irgendeiner Form Hooligans und gegen das Establishment und die sind einfach alles … Das sind schwierige Menschen. So würde ich das auch nicht sehen wollen Weil ich glaube schon, dass es sehr, sehr viele Menschen auch im Fußballfan-Tum gibt, die weiter sind, als wir denken. Und die vor allen Dingen weiter sind, als auch die Fußball-Chefetage, sage ich mal so. Die müssen nur ein bisschen lauter werden. Und ich glaube schon, wenn wir so ein bisschen in die Kurven gucken, die transparente sehen … Die Fußballfans positionieren sich ja auch. Die sind nicht neutral, die positionieren sich und die positionieren sich auch politisch.
00:20:40: Lena Und ich finde das toll, weil auch das Fußballstadion und auch die Bahn ist ein politischer Raum, ist ein Ort, wo Menschen aufeinandertreffen. Und überall, wo Menschen aufeinandertreffen, findet Austausch statt und da findet dann auch politischer Austausch statt. Wir sind ja nicht nur Fußballfans, sondern wir sind ja auch Bürger und Bürgerin. Und ich glaube schon, dass wir uns dessen auch mehr bewusst werden müssen im Fußballbereich, dass das nicht nur so gehen kann, dass wir das dann nur Fußball sein lassen. Und jetzt sei doch mal nicht so und nicht so anstrengend. Ist doch einfach nur Fußball. Ist es nicht. Ist mehr als das.
00:21:15: Maxi Je mehr ich über die Verbindung von Kultur und Fankultur und unseren Öffis nachdenke, desto wacher wird mein Blick für all die Plakate, die hier auch am Busbahnhof an den Zäun hängen. Sommerzeit ist ja Festival-Saison und in der Bei der Bundesligapause werden die Stadien ja auch für Konzerte genutzt. Und natürlich quetschen wir uns nach einem DuaLiba Konzert oder so dann alle in die Bahn. Oder stellt euch mal das Hurricane ohne Naheverkehr vor. Also umso wichtiger ist es ja, dass alle Zugang zu den Öffis haben, weil das der Zugang zu Kultur ist und dieser Zugang auch zu einem friedlichen Miteinander beitragen kann. Ich scrolle durch meine Mails, noch mal den Namen des Mannes zu checken, den ich gleich treffe. Stefan Schmidtke. Er hat die Kultur zum Beruf gemacht. Denn Stefan ist Kulturmanager und Geschäftsführer der Kulturhauptstadt Europas, Chemnitz 2025 GmbH. Die Kulturhauptstadt wird ja jährlich gewählt und dieses Jahr fiel die Wahl auf Chemnitz unter dem Motto See the Unseen. Ja, außerdem ist er auch noch Dramaturg für Festival-Formate. Also, das ist doch der Top-Typ für dieses Thema. Magst du dich einmal vorstellen?
00:22:23: Stefan Schmidtke Teil 1
00:22:26: Stefan Ja, mein Name ist Stefan Schmidtke. Ich komme aus Döbeln. In Sachsen, dort bin ich geboren und nach vielen, vielen Jahren im internationalen Kulturbetrieb in Wien, in Tallinn, in Sankt Petersburg, bin ich in der Stadt Chemnitz. Die Stadt Chemnitz ist in 2025 Kulturhauptstadt Europas und seit fünf Jahren darf ich als Geschäftsführer programm ein wunderbares, großartiges Kulturprogramm mit über 400 Trägerinstitutionen mit 10. 000 Beteiligten vorbereiten. Das macht viel Spaß. Das ist eine tolle Arbeit.
00:23:01: Maxi Und du lebst jetzt schon einige Zeit in Chemnitz auch?
00:23:03: Stefan Ja, fünf Jahre.
00:23:04: Maxi Ja, warst aber wahrscheinlich davor auch schon mal dort zu Besuch oder hat das eine Verbindung zu der Stadt, oder?
00:23:10: Stefan Da hieß das noch Karl Marx Stadt. Da war ich Abiturient. Ich komme ja aus Döbeln Das ist so 30 Kilometer weg. Und als ich so 16, 17, 18 war, bin ich ständig in Karl Marx stadt gewesen. Das war die große Welt. Da hatte das noch 300. 000 Einwohner. Dort gab es geile Konzerte, das beste Theater, alles, was man so als junger Mensch in der Großstadt mitnimmt.
00:23:31: Maxi Und wie hat sich das in den letzten Jahrzehnten verändert?
00:23:33: Stefan Ja, Karl Marx Stadt gibt es nicht mehr. 1990 haben die Chemnitzer beschlossen, sich wieder Chemnitz zu nennen. Das gab einen Bürgerentscheid. Und die Stadt hat circa 80. 000 Einwohner verloren, weil die dort vorhandene Industrie, die nicht mehr leistungsfähig war, der gesamte Maschinenbau, der Textilmaschinenbau, die Textilindustrie, sind zum großen Teil abgewandert. Und Chemnitz hat jetzt nur noch 250. 000 Einwohner. Viele junge Menschen sind abgewandert. Chemnitz hat sich sehr gewandelt, ist allerdings aber eine Stadt, die eine sehr besondere Struktur an Wirtschaft hat. Wir haben unendlich viele Mini-Firmen, sehr kleine Firmen, die hochspezialisierte Technologien anbieten. Das hat damit zu tun, dass die großen Industriebetriebe zerfallen sind in viele, viele kleine Firmen und hat tolle Unternehmerinnen und Unternehmer, die auch die Kultur unterstützen, die aber am Weltmarkt mit Chips und mit verschiedenen anderen elektronischen Dingen ordentlich mitmischen.
00:24:33: Maxi Okay, also die Größe ist geschrumpft. Wie hat sich denn die Kultur dadurch verändert? Gab es dann auch weniger Konzerte oder weniger Theater oder weniger Mittel für Kultur?
00:24:44: Stefan Letzten Endes ist die Besonderheit von Chemnitz die, die auch die Stadt unterscheidet von unseren Nachbarinnen wie Dresden, Leipzig und/oder auch Berlin, die, dass wir einen relativ kleinen Sektor an Hochkultur haben. Es gibt das Dreispartenteater, Es gibt die Theater Chemnitz mit Opernhaus, Puppenspiel, Kinder-und Jugendtheater, es gibt die Kunstsammlung, es gibt das Industriemuseum und dann ist fast schon Schluss. Und der größere Teil dieser Stadt ist alternative Kultur im Ehrenamt in freien Trägern. Das macht Chemnitz sehr besonders. Wir haben eine unglaublich lebendige, aber durchaus auch verborgene, freie Szene, die übrigens – und jetzt springe ich mal so selber ein bisschen zurück in die Kulturhauptstadt – den größten Programmanteil der Kulturhauptstadt trägt. Das ist das Besondere. Dafür haben die Chemnitzer übrigens auch den Titel bekommen. Die haben gesagt, wir machen jetzt kein internationales Einladungsprogramm, wo wir für unser Geld irgendwelche Agenturen aufrufen, die tolle Stars aus aller Welt einbuchen, sondern wir wollen, dass unsere Stadtgesellschaft sich zeigt. See the Unseen, das ist der Claim, mit dem wir auftreten. Sie, das Ungesehene, Sieh die Ungesehene. Und 80% des Programms kommen aus der Stadtgesellschaft.
00:26:01: Maxi Schön. Also Chemnitz macht Kultur für auch die Leute, die in Chemnitz wohnen, aber auch für die Leute drumherum. Aber es kommt aus Chemnitz heraus.
00:26:09: Stefan Unbedingt. Das war der Gedanke. Wir kaufen nichts Fremdes ein, sondern wir zeigen uns mal selbst. Was man nicht vergessen darf: Chemnitz ist nicht alleine europäische Kulturhauptstadt. Es sind 38 Kommunen mit dabei und in diesem großen Erzgebirgsvorraum leben circa eine Million Menschen und die sind aktiver Körper dieses Kulturhauptstadtjahres.
00:26:32: Maxi Und was passiert denn jetzt in diesem Zeitraum? Was wird auch verändert oder wird gar nichts verändert?
00:26:37: Stefan Wir haben über fünf Jahre lang ein riesen Programm aufgelegt, wo wir die gesamte Kunst-und Kulturszene der Stadt Chemnitz eingeladen haben, sich zu vernetzen, sich zu bilden, Strukturen zu schaffen, am Ende dieses Programm auch selbst stemmen zu können. Das heißt, Kulturhauptstadt ist nicht ein Festival, wo dann irgendwie was stattfindet, sondern ist ein langer Ausbildungs- und Entwicklungsprozess, der sehr tief greifend ist. Wir sind in den Gartenvereinen, in den Garagenvereinen, nicht nur in den Profi betrieben, weil eben, wie gesagt, die Masse der Kulturhauptstadtmacherinnen und Macher sind Laien und ganz normale Menschen aus der Stadt.
00:27:20: Maxi Du hast ja gesagt, dass auch die Kommunen um Chemnitz herum teilnehmen an eurem Programm oder sich beteiligen an der Kulturhauptstadt. Dafür ist ja auch eine sehr gute Anbindung wahrscheinlich wichtig, oder?
00:27:31: Stefan Ja, ich persönlich wünschte mir mehr Busse und Bahnen am Land. Wir sind ein Betrieb, die durch die kulturellen Aktivitäten auf derartigen Bedarf aufmerksam machen. In den 38 Kommunen, die zur Kulturhauptstadt dazugehören, gibt es ein großes eigenes Programm. Das ist der Kunst-und-Skulpturen Weg Purple Path. Und an diesem Purple Path, dem lila Pfad, Baden-Württ haben wir gemeinsam mit einem Kurator 38 Kunstwerke aufgestellt, in jeder dieser wundervollen Kommunen, ein großartiges Kunstwerk. Und diese Kunstwerke erzählen die Geschichte des Erzgebirges mittels Kunst. Und ab nächstem Jahr – und da arbeiten unsere Tour-Sticker mit Verkehrsbetrieben zusammen – wollen wir Bus-Touren initiieren, wollen wir Verkehrskonzepte in Bewegung setzen, dass auch jeder Ort an diesem Purple Path gut erreichbar ist. Im Moment ist das noch nicht der Fall.
00:28:33: Maxi Dafür gibt es ja wahrscheinlich auch die Chemnitzer Verkehrs AG.
00:28:37: Stefan Ja, die Chemnitzer Verkehrs AG ist für die Verkehrsbetriebe in der Stadt Chemnitz zuständig. Das, was diese Region ausmacht, ist das sogenannte Chemnitzer Modell. Hier arbeiten drei Verkehrsbetriebe zusammen und durch den Stadtkörper von Chemnitz hinweg verbinden sich Städte und Kommunen außerhalb von Chemnitz. Sie können also von 70 Kilometer außerhalb von Chemnitz in eine Straßenbahn steigen. Die fährt dann über Land einmal durch die Stadt Chemnitz durch und an der anderen Seite der Stadt wieder ins Erzgebirge hinein. Städte wie Talheim, Aue bad Schlema, Stollberg werden über dieses Überland-Straßenbanen-System verbunden. Das Chemnitzer Modell ist hervorragend. Da greift Elektrifizierter und Dieselverkehr ineinander. Da gibt es die Erzgebirgsbahn, dann gibt es die Chemnitzer Verkehrsbetriebe und noch weitere Verkehrsbetriebe, die ineinander greifend und aufeinander miteinander koordiniert diesen Verkehrsverbund stellen.
00:29:45: Maxi Ihr könnt die fünf jungen Frauen hier ja jetzt nicht sehen, aber wenn es im Duden Fotos gäbe, dann würden sie dort stehen unter Festival. Alle in kompletter Montur. Jeans Shorts, Vintage Konzert-Shirts, klobbige Boots, viel Bling-Bling, Rucksäcke, die fast so groß sind wie sie selbst, Schlafsäcke, Isomatten und Laune. Ich frage mich, zu welchem Festival sie wohl unterwegs sind. Wir halten fest: Großveranstaltungen ohne Öffis wären eher Kleinveranstaltungen. Bus und Bahn und Festivals, Fußballspiele und Co gehören zusammen. Die Frage ist aber, welche besonderen Herausforderungen das mit sich bringt, – sowohl für die Verantwortlichen des Verkehrs, als auch für die Mitfahrenden. Also für euch, für mich und natürlich auch für Lena. Wenn du jetzt die Möglichkeit bekommen würdest, die ÖPNV Kultur rund ums Fußballspiel zu verändern, also zum Beispiel einen Ruhewagen oder keinen Krawall machen in ÖPNV als Fußballfan. Was hast du für Ideen?
00:30:38: Lena Cassel Teil 2
00:30:53: Lena Ich würde mir noch mehr Sonderzüge wünschen. Und mit Sonderzügen meine ich solche Züge, wo es dann eben keine Anarchie gibt, sondern vielleicht ein Bereich nur für Frauen, Kinder, Familie. Und das ist dann auch ein geschützter Wagon, wo es auch gewisse Regeln gibt, aber eben auch einen Schutzraum für Menschen, die sich vielleicht in dem Wagon, wo Anarchie herrscht, nicht so wohl fühlen.
00:31:17: Maxi Wie könnte man denn zum Beispiel Fans aktiv in die Gestaltung des ÖPNVs einbeziehen? Sind Fußballfans besonders kreativ? Kann man das über einen Kamm scheren?
00:31:28: Lena Sie haben zumindest ist ja eine Gemeinschaft. Die Ultras sind ja wahnsinnig gut organisiert. Also da ist ja schon eine bestehende Struktur da, sich …
00:31:39: Maxi Die Logistik, die zu verfrachten. …
00:31:40: Lena Zu verbinden, Logistik zu … Genau, wenn man sich da mal die gut kuratierten Choreos anguckt am Wochenende. Also da scheint einiges gut zu funktionieren bei den Ultras. Also die haben zumindest eine Kommunikationsstruktur und die sind kreativ. Und ich glaube schon, gerade Fußballfans nutzen den ÖPNV natürlich extrem. Und es ist ja jedes Wochenende Fußball. Also mittlerweile ja sogar nicht nur jedes Wochenende, sondern auch unter der Woche. Also es gibt ja kaum noch eine Zeit, wo nicht Fußball ist. Also eigentlich sollte sich da mal die entsprechenden Personen … Es sollte eine Symbiose zwischen Fußballfans und den Verantwortlichen vom ÖPNV geben. Ich denke, das wäre sehr fruchtbar, weil Hauptkonsumenten, würde ich sagen, vom ÖPNV neben der arbeitenden Gesellschaft sind es die Fußballfans. Weil wirklich, mit dem Auto zum Stadion zu fahren, würde ich niemandem mehr empfehlen Nein. Nein, Horror.
00:32:31: Maxi Und dann kommst du mit dem Auto da auch nicht wieder weg.
00:32:33: Lena Also ein bis zwei Stunden mindestens danach noch beschäftigt, dass du dich da irgendwie rauskämpfst im Auto, also vom Stadion weg. Super viel Stau. Und da bist du viel, viel schneller mit den Bahnen. Aber ich muss sagen, so an Spieltagen haben sie das schon sehr, sehr gut gemacht. Es gibt Sonderzüge, die extra dann für die Spiele gebucht sind und am Start sind und die kommen dann wirklich alle paar Minuten, weil sie damit das halt auch ein bisschen levelen wollen, dass es nicht so voll ist. Aber primär ist es sehr voll. Erst mal, darauf muss man sich einstellen, aber es ist für mich immer noch der entspannteste Weg zum Stadion. Es gibt für mich keine Alternative dazu. Und ich finde es immer schön, nach dem Spiel noch unter Menschen zu sein, sich noch mal unterhalten. Und das bietet natürlich dann, das bietet der ÖPNV natürlich, wenn du dann mit tausenden Fußballfans – und sie sind nicht alle nur aggressiv – dann zurückfährst, kannst du dich noch mal unterhalten. Ist doch schön. Hat man noch mal ein bisschen Zeit zum Verarbeiten. Und ich liebe das nach dem Spiel, wenn es dann auch ein bisschen leerer ist, Musik auf die Ohren, noch mal ein bisschen alles sacken lassen.
00:33:35: Lena Schön.
00:33:35: Maxi So. Und du liest auch viel in der Bahn oder ab und zu?
00:33:39: Lena Ja, also mittlerweile höre ich fast nur noch Podcast.
00:33:42: Maxi Okay, aber du liest auch mal? Du hast ja ein Buch geschrieben. Wie oft hast du dein Buch schon gelesen?
00:33:46: Lena Ich habe es tatsächlich nicht noch mal gelesen. Aber ich hatte Lesungen. Das heißt, ich habe Kapitel gelesen, aber ich habe es jetzt noch nicht mal von vorne bis hinten durch gelesen.
00:33:54: Maxi Aber es gibt doch wahnsinnig viele Korrekturschleifen, oder nicht?
00:33:57: Lena Total, viele, ja. Aber ich habe am Anfang auf der dritten Seite einen Fehler entdeckt. Seitdem habe ich mich nicht mehr getraut, das noch mal zu lesen. Aber auch, weil ich habe das Buch zweieinhalb Jahre lang geschrieben und in der Zeit, sage ich mal so, ist jetzt auch nicht wenig passiert. Und es ist ja nicht nur ein Fußballbuch, es geht auf in meinem Privatleben und ich habe Sorge, dass ich gewisse Sachen auf Emotionen geschrieben habe und dass ich, wenn ich es jetzt noch mal lese, denken würde: Boah, wie wehleidig und wie unangenehm, so. Und dass ich diese Emotion jetzt gar nicht mehr teile. Und deshalb sage ich so: Komm, das ist jetzt fertig.
00:34:32: Maxi Und immer da draußen.
00:34:34: Lena Ja, und das ist auch in Ordnung. Und das stresst dich nicht? Nein, stresst mich nicht. Also ich sage, ich würde es mir jetzt nicht noch mal von vorne bis hinten durchlesen, aber es ist trotzdem, dass ich meinen Frieden damit geschlossen habe. Ich bin fein damit, dass das draußen ist und dass das, glaube ich, hoffentlich vielen Menschen da draußen Anknüpfungspunkte bietet, die sie sonst vielleicht nicht so oft in der öffentlichen Repräsentation finden. Das war der ursprüngliche Sinn und Zweck dieses Buches. Also es ist jetzt auch kein Karriere-Ratgeber, ganz im Gegenteil. Das klingt ja nach Aufstiegskampf, klingt ja so: Man ist unten gestartet und man ist jetzt oben und dann ist alles geil. Das ist es eben nicht. Und oftmals neigen Biographien ja dazu, dass man so: Oh ja, ich kann …
00:35:14: Maxi vom Tellerwäscher.
00:35:15: Lena Genau, ich komme aus diesen schwierigen Verhältnissen, aber jetzt ist alles toll. Und ja, das ist, glaube ich, hoffentlich nicht so, dass wenn man das Buch liest, sondern dass man eher denkt, die beste Zeit ist auch oftmals ganz, ganz nah an der schlimmsten Zeit.
00:35:29: Maxi Und Wann ist das rausgekommen?
00:35:30: Lena Das ist im April diesen Jahres erschienen.
00:35:33: Maxi Aufstiegskampf.
00:35:34: Lena Ja, so heißt das. Sehr gut. Und das ist wirklich auch … Es können Leute lesen, die auch vielleicht gar keinen Bock auf Fußball haben. Fußball ist zwar der rote Faden in meinem Leben, aber er ist eventuell auch bei wem anders, du könntest es austauschen und hättest, glaube ich, ähnliche Emotionen.
00:35:49: Maxi Und was nervt dich gerade am Fußball?
00:35:52: Lena Wo soll ich anfangen?
00:35:55: Maxi Oder was hält die Liebe aufrecht?
00:35:57: Lena Die Liebe aufrecht Halten Stadionbesuche, Halten Abstand, glaube ich, ist wichtig für mich. Ich bin Befürworterin vom selektiven Schauen. Mittlerweile kannst du ja jeden zweiten Tag ein Fußballspiel schauen. Das entwertet diesen Sport ungemein. Dementsprechend gucke ich mir nicht mehr alles an und freue mich dann umso mehr bei gewissen Veranstaltungen und Spielen, wenn ich dabei bin, live vor Ort oder das auch so als Happening zu zelebrieren, Leute einzuladen zu mir oder wir gehen irgendwo hin in schöne Berliner Fußballkneipen, die es gibt, wo du dann auch ein bisschen was essen kannst und dass das wirklich eher so ein Gesellschaftsraum bleibt, weil da so fing halt alles an. Und diese Distanz brauche ich auch und ich merke, dadurch, dass ich in den letzten Jahren so viel damit auch gearbeitet habe, dass es schon weniger geworden ist, diese Begeisterung. Und da muss man ein bisschen aufpassen, weil ich will nicht, dass meine Arbeit als Sportjournalistin mir diesen wirklich sehr schönen Ort für mich nimmt. Ich will den mir behalten, weil der wirklich alles, was in meinem Leben passiert ist, hat immer irgendwas mit Fußball zu tun. Ich habe meine erste Freundin in meiner Fußballmannschaft kennengelernt. Der Fußball hat meinen Weg zur Homosexualität gezeigt, was total absurd ist, weil ein Mann das niemals so sagen würde.
00:37:12: Lena Bei mir war es so. Meine Fußballmannschaft war super auf meinem Familienersatz, hat mir total viel Struktur gegeben in einer Zeit, wo alles so wild war, in einer Zeit von 15 bis 25, wo eigentlich überhaupt gar nichts fest ist. Aber ich wusste, ich habe dreimal die Woche Training. Das war fest. Und dementsprechend kann ich jedem nur raten, vielleicht einen Ort auch so zu haben, der immer da ist und wo man hingehen kann und wo es ein jedes Mal gibt. Weil es gibt so viele erste Male, wenn du jung bist. Das kann wahnsinnig überfordernd sein. Und es ist so toll, einen Ort zu haben, wo alles gleich ist. Es ist halt wie so ein Sicherheitsgürtel.
00:37:47: Maxi So eine Konstante.
00:37:48: Lena Ja, total. Und das kann bei anderen Leuten was anderes sein. Muss nicht Fußball sein. Golf, Tennis, Tennis, singen, tanzen, Chor. Ein Ort zu haben, wo man gerne hingeht. Das ist, glaube ich, wichtig, glücklich zu sein.
00:38:06: Maxi Ich frage mich, wie es zum Beispiel für die jungen Menschen auf dem Land ist. Das ist ja ultra nervig, wenn deine Band spielt und du keine Möglichkeiten hast, dorthin zu fahren. Und das ist ja nicht nur für die Fans doof, die ländlich leben, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor für die Region. Konzerte, Turniere, Festivals und all das sind ja nicht nur ein Fun-Faktor. Ich merke gerade, dass ich noch einige Fragen an Stefan habe. Gibt es denn auch Projekte, wo ihr den ÖPNV künstlerisch umgestaltet? Gab es da schon Ideen, dass Bahn und Bus sich auch bemerkbar machen, dass gerade Chemnitz Kulturhauptstadt ist?
00:38:33: Stefan Schmidtke Teil 2
00:38:49: Stefan Wir hatten im Vorfeld, also noch vor dem Kulturhauptstadtjahr, mehrere Aktionen im Bahnhof und mit den Zügen, die uns mit Leipzig verbinden. Dort haben wir schon einiges veranstaltet. Auch die Bahnhöfe sind in gewisser Art und Weise werblich gestaltet.
00:39:04: Maxi Aber das ist ja eigentlich auch eine tolle Möglichkeit, auch den ÖPNV noch ein bisschen attraktiver zu machen oder aufregender, weil Kultur, was Visuelles, was Haptisches oder auch nur mit Geräuschen zu spielen, den ÖPNV irgendwie noch mehr aus seiner Alltagsfunktion und mehr in ein Erlebnis irgendwie zu bringen, oder?
00:39:22: Stefan Das wäre ganz schön und wunderbar. Im Moment ächtzt unsere Bahn, den Grundbetrieb ordentlich hinzubekommen. Das muss man fairerweise sagen: Wenn wir dann noch in überfüllten Zügen mit Triangeln und Flöten unterwegs wären, wäre das ein bisschen verwirrt. Wir haben das echt im Auge. Wir haben ein enormes Gästeaufkommen. Wir haben mehr als 600 1. 000 zusätzliche Gäste zum Üblichen, was nach Cemnitz kommt. Wir sind froh, dass das erst mal funktioniert. Und wir arbeiten übrigens auch mit der Bahn zusammen. Es gibt ein Kulturhauptstadt-Ticket, was in Gesamt Sachsen zur Anwendung kommt, ein Sonderangebot. Es Es gibt übrigens auch mit dem VMS, das ist der Verkehrsverband, der uns herum ist, eine neue Buslinie. Zweimal am Tag kommt man zum Flugplatz nach Prag direkt, weil Prag ist uns territorial näher als Berlin. Das heißt, der Flugplatz Prag ist für die Gegend des Erzgebirges und für Chemnitz viel wichtiger, weil wir viel schneller in Prag sind, der auch bessere internationale Anwendungen hat als unser Hauptstadtflughafen in Berlin.
00:40:29: Maxi Du meintest, ihr habt so viele Besucherzahlen, gerade. So viele Parkplätze kann man wahrscheinlich gar nicht zur Verfügung stellen. Es ist ja super, wenn die Leute auch mit dem ÖPMV anreisen können und wenn dort auch investiert wird, dass die Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.
00:40:41: Stefan Ich bin ganz stolz. Die Stadt Chemnitz hat bei mir angerufen, schon vor zwei Jahren und hat gesagt: Gebt uns doch mal euer Logo. Wir wollen die Park-and-Ride-Plätze vor der Stadt mit Kulturhauptstadt auszeichnen. Das heißt, die Stadt Chemnitz hat weit im Vorfeld im Umland Parkplätze angelegt und die sind angebunden ans Stadtzentrum. Und das Wichtige ist, dass Zusammenhänge koordiniert werden. Und in diesem Falle nutzt die gemeinsame Kulturhauptstadtbewerbung sehr viel. Unser Oberbürgermeister der Chemnitz Unser Oberbürgermeister hat eine sogenannte Bürgermeisterinnenkonferenz gegründet. Zweimal im Jahr treffen sich jetzt alle 38 Kommunenbürgermeister. Oh toll. Das hat es vorher nicht gegeben. Die Kulturhauptstadtregion, es ist wirklich spannend, erstreckt sich auch auf drei unterschiedlich agierende Landkreise. Und damit es auch richtig spannend wird, noch zwei unterschiedliche Tourismussektoren. Und die Aufgabe unseres Kulturbetriebes ist es, sektorenübergreifend, grenzübergreifend mit diesen Eigenbetrieben zusammenzuarbeiten und Synergien aufzubauen, die es vorher nicht gab.
00:41:58: Maxi Oma, den Rätselspaß habe ich dir besorgt. Ist eingetütet. Sag mal, ich musste heute an unseren Sonntag beim Fußballspiel denken. Erinnerst du dich noch daran? Ach ja, der Heiratsantrag im U-Bahn-Schacht. Das war was. Das hätten wir nie erlebt, wenn wir mit dem Auto gefahren wären. Siehst du? Gut, dass ich keinen Führerschein hab.
00:42:28: Maxi Meine Oma hat natürlich, wie so oft, recht. Es gibt Dinge, die wir nur erleben, weil wir mit Bus und Bahn unterwegs sind. Ich muss direkt wieder lachen, denn das hab ich vorhin vergessen zu erzählen. Hannes und Louisa hatten auf ihrer Hochzeiteinladung damals stehen: It’s öffiziell. We're getting married. Eine Liebe dank der Fankultur. Eine Liebe dank eines Stadionbesuches, besiegelt vor der U3. Diese Happenings sind für mich wie ein gesellschaftliches Schmiermittel, damit es nicht klemmt, wenn wir zu tausenden zusammenkommen. Und ja, ich finde auch, dass diese Großveranstaltungen dazu beitragen können, dass wir mit Konflikten konstruktiver umgehen. Und das beginnt ja bereits bei der Anfahrt mit Bus und Bahn. Öffis spielen dabei eine tragende Rolle und eine bewegende im eigentlichen und übertragenen Sinn. Denn einige der Mitreisenden haben ein anderes Ziel und wollen nach der Arbeit auf die Couch statt aufs Konzert. Bei denen herrscht keine Euphorie, sondern ein Bedürfnis nach Ruhe. Und das sollte man in solchen Momenten auf dem Schirm haben, wenn man sich in öffentliche Räume begibt. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Seid ihr in eurer Festival-Era oder ist es Fußball-Core? Erzählt doch mal. Ach so, und natürlich ist 24: 7-Glocken-Aktivierung-Time und 5-Sterne-Vergeben-Time, ne? Aber wem sage ich das?
00:43:54: Maxi Ihr seid ja Podcast-Bros. Ticket to Anywhere ist ein Podcast der Zukunft Nahverkehr in Zusammenarbeit mit der dpa. Host bin ich, Maximilian Mundt, Skriptautorin: Inga Wessling, Autor und Producer: Claus Schwartau, Redaktion: Charlotte Witt und Alicia Windzio, Executive Producer dpa: David Krause, Sounddesign: Sebastian Dressel. Musik: Henning Neidhardt, Ton: David Bader, Dirk Feistel und Saskia Hahn. Teamlead Social Media: Oliwia Nowakowska, Initiative Zukunft Nahverkehr: Chiara Giordano und Leila Mahmood.
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